Menschenleid, Menschenlust
Verursacht, Gegeben, Bereitet,
voll Angst hab dich empfangen,
Nebel zusammen, Erkenntnis geweitet,
Lust gewonnen und niemals ein Bangen.
Es ist Schmerz und Demut und auch
Leiden,
alles macht aus Mensch und mir,
wie mir mein Herz und Gut, sie auch
neiden,
erheblich Menge Lust und Gier.
Verlust, verschwinden, sich wieder finden,
berechnend, gegenüberstellen, fragen,
geben, nehmen, halten, binden,
Liebe, Lust und Schmerz ertragen.
Ulrich Tamm * 1955
Kategorie B 22-24
29.10.2014
Mit einer Geschichte zu toten Orten habe ich an einem Autorenwettbewerb teil genommen.
Die Entscheidung ob mein Beitrag in der Zeitschrift "die Novelle" eine
Zeitschrift für Experimentelles, im September 2014 Einlass findet, ist gefallen.
Es wurde leider nicht veröffentlicht.
Tote Orte
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von Ulrich Tamm
Vorwort
Ich habe lange gesucht und nichts gefunden,
gelaufen, gerannt bis der Körper zerschunden,
voll Gier hab betreten so manchen Ort,
doch mit mir war das Tote auch fort,
denn mein Leben, wenn’s war auch nicht viel,
zerstörte die Ruhe und aus war das Spiel.
Ulrich Tamm
Tote Orte
Dunkel schwarz war die Nacht.
Augen konnten durchdringen das nicht.
Doch wer braucht schon Augen, wenn die Ohren erzählen.
Stetig ging der Wind, nichts hielt ihn auf, in seinem Verlauf. Ich folgte schon lang diesem unaufhaltsamen Strom und vernahm auch sonst keinen anderen Ton. Wie mich, so nahm er auch mit sehr feinem Sand. Lautlos glitten wir, Milliarden von Körnchen und ich durch die Lüfte, hin zu neuen Plätzen. Das Singen des Windes durch nichts wurd gestört, blieb auch tief in der Nacht noch, ich hab es gehört.
Um diese Zeit ist es eisig kalt in der Wüste, um nicht zu stark zu frieren bewegte ich mich unaufhaltsam immer weiter, in ständiger Einheit mit den Körnchen.
In einiger Entfernung erklangen Töne, Töne die nicht hierher passten. Einordnen konnte ich sie nicht. Nicht von hier. Weiter heran an den Ursprung der leisen Komposition. Immer näher getragen wurden wir und deutlicher erklang das Konzert des Windes. Leises Heulen, erzeugt durch Verwirbelungen des Stromes. Irgendetwas musste hier im Sand liegen und dem Wind als Instrument dienen.
Was könnte es sein?
Gab es hier vielleicht noch mehr Leben?
Zu dem Heulen gesellten sich noch weitere Klangbilder. Der Sand traf auf einen dünnen metallenen Untergrund und gab dabei ganz leise musikalische Untermalung zum Lied des Windes. Der Abstand zu dem Etwas verringerte sich weiter, bis ich mit der Hand Kühles ertastete. Langsam fühlte ich über die große raue Metallfläche. Es dauerte einige Zeit bis ich alles erfühlt hatte.
Eindeutig handelte es sich um ein Autowrack.
Ein altes Autowrack. Durch den Wind und den Sand hatte sich der Lack an den meisten Stellen abgeschliffen. Danach wurde die bestimmt ehemals schöne Farbe durch Rost ersetzt. Das Reifengummi hatte
sich schon lange aufgelöst. Scheiben gab es ebenfalls nicht mehr und so konnte der Wind seine Melodie durch die Öffnungen hindurch spielen.
Dieses Modell musste schon ziemlich alt sein. Die runden Formen ließen auf die vierziger Jahre schließen. Und alles was weicher als Metall gewesen ist, gab es jetzt nicht mehr. Auch hier sprach ich vom Opfer des Windes. Ich umkreiste das Fahrzeug mehrere Male. Evtl. hatte ich auf einen Platz für die Nacht gehofft, aber das ist falsch, hier gab es nichts.
Meine Verzweiflung machte der großen Erschöpfung den Weg frei. Die Hoffnung von diesem Ort des Todes entfliehen zu können schrumpfte weiter. Eigentlich wollte ich nur noch schlafen. Aber bei diesen Temperaturen verwarf ich jeden aufkommenden Gedanken daran.
Weiter, immer weiter sagte mir mein eigenes Leiden. Durst, Hunger und Verzweiflung rafften meinen Willen aber weiter dahin, mich zu quälen, ich verstand nicht den Sinn. Aber verstehen an diesem Ort ist schwer, ich musste dringend hier fort.
Die Melodie des Sandes nahm langsam ab. Jeden Schritt. Waren das noch Schritte? Ich konnte es nicht mehr sagen, aber ohne zu klagen, ließ ich mich vom Winde fast tragen. Trocken mein Mund, mein Geist schon lang.
Den Wind allein, ich hörte noch spielen eine Musik, beeindruckt durch dessen Unbeirrtheit und Stärke, fühlte mich klein, schwach und nutzlos, nein sogar überflüssig an diesem Ort.
Immer wieder musste gehen ich in die Knie, nur ausruhen ein kurze Weile. Erst wenn die Kälte mich zum Aufstehen zwang, dann kämpfte ich mich wieder hoch. Wieder und wieder und wieder. Dieses Spiel, so will ich es jetzt nennen, wiederholte ich unzählige Male.
Und dann, ja jetzt war es soweit, fehlte die Kraft zum erheben mir. Selbst zum Schutz gegen den ewig fliegenden Sand reagierten meine Reflexe nicht mehr. Die Ohren, die Nase, der Mund, ja sogar die Augen nahmen immer mehr von den fliegenden Körnchen auf. Sehen in dieser Dunkelheit? Augen voll Sand kein Problem. Schmerzen ja, aber sehen, egal. In Nase und Mund unangenehm, doch nicht tödlich. Mein Mund, zum Glück schon seit Stunden, knochentrocken ist. Der Sand der eindringt klebt nicht in ihm, nein er rieselt heraus, das Atmen bereitet kaum eine Not, die Nase ist zu und fühlt sich wie Tod.
Der Sand in den Ohren bereitete mir jetzt Sorgen, das Hören wird immer schlechter. Angst und Verzweiflung breiteten sich immer weiter in mir aus. Wie sollte ich hören wenn Rettung naht. Plätscherndes Wasser zu hören bleibt dann auch verschlossen mir.
Mein Weg, ich jetzt krieche auf allen Vieren, hab vieles gemein mit einigen Tieren. Die Strecke, die bewältige ich, kann nicht ermessen. Der Aufwand erheblich, die Muskeln sie schmerzen, es bleibt nicht geheim, ich kann nicht mehr weiter, allein.
Der Wind, mir kommt es doch so vor, spielt zusammen mit dem Sand wieder im Totenchor. Makaber ist es bestimmt zu dieser Zeit, aber zum Sterben bin ich lange noch nicht bereit. Ich raffe mich auf, komm auf den Beinen zum Stehen und glaub in der Ferne ein Licht zu sehen.
Die Hoffnung sie kommt mit wildem Glück und trägt mich dahin ein kurzes Stück.
Der Sand uneben und zu Wellen gehäuft, verhindert ein aufrechtes gehen schon bald. Auf allen Vieren, einen Weg kann nicht sehen, schlepp mich dahin, dem Lichte entgegen. Versuch mich zu zwingen immer weiter zu kommen, doch brech dann zusammen, fall ganz in den Sand. Den Wind es stört nicht, ob steh ich, ob Knie ich oder lieg ganz auf dem Boden. Er hat nicht ein bisschen den Ton angehoben. Weinen, ja weinen das würde ich jetzt, doch trockne Tränen gibt es noch nicht.
Ich lieg auf dem Sand und Sand deckt mich zu, mein Wille zum Leben ist erloschen noch nicht, doch kommt mein Ende, mein Ende in Sicht. Ein Ton ein neuer dringt leis an mein Ohr, ich horche und merke wie doll ich jetzt fror. Erheb mich nur langsam, schwer ist der Sand, der durch den Wind auf mir zum liegen kam. Quäle mich zu den Tönen, den Neuen. Die Hoffnung auf was, ich wusst es nicht mehr, gab mir noch Kraft, ich wollt Leben, ja Leben so sehr.
Das Licht in der Ferne, es wurd immer heller, es ist die Sonne, die bald auch die Kälte verdrängte. Nicht lange und der Wind wurd schon wärmer.
Mein Vorwärtskommen ist nicht messbar mehr. Zentimeter vielleicht noch, doch mehr war‘s bestimmt nicht. Der Durst beschreibbar ist nicht, die Dürre breitet sich aus in mir. Die Temperatur stieg stetig, bis Hitze es war. Mein Mund jetzt so trocken, das der jetzt heiße Sand bis in den Magen wurd geblasen. Das Atmen ging schwerer, ich bekam nur noch wenig Luft.
Zum Leben zu wenig zum Sterben zu viel.
Dennoch ich gab nicht auf mich, denn sehen wollt das Instrument, das dem Wind die Töne entlockt.
Zu keiner Bewegung mehr fähig, so lag ich am Boden. Ich hob an den Kopf doch das nützte nichts, die Augen voll Sand mein Blick war getrübt. Mein Wunsch was zu sehen, sollt wohl nicht in Erfüllung gehen. So sackte ich nieder, blieb liegen ganz still und hoffte und hoffte nicht mehr.
Eine Zeit die verrann wie der Sand in der Uhr.
Ich fing an zu Bitten, um etwas Kraft mir zu geben, dann schenke ich hin mein jetziges Leben.
Der Wind und der Sand, sie spielten ein Lied, von Liebe und Tod, ich hörte es mit.
Mir kam eine Träne, die Allerallerletzte Feuchtigkeit in meinem Körper, sie entfernte den Sand, so dass ein Auge das Instrument jetzt noch fand.
Ein Toter Ort, den ich jetzt sah, mein Leben ging hin, für immer dar.
Die Seele stieg auf gen Himmel, meine Hülle blieb da, mein toter Körper komplettierte diesen toten Ort, ganz wunderbar.
ENDE FÜR IMMER
Zum Schluss blieb nur eine Frage über.
Wer brachte wem den Tot denn rüber?
Das Auto der Tankstelle, weil es nicht mehr zum Tanken kam.
Oder die Tankstelle dem Auto, weil es kein Sprit mehr bekam.